El Gaucho’s Law. Von der ästhetischen Transkreation zur normativen Translation

Erscheinungen der Popkultur sind nur selten Gegenstand rechtswissenschaftlicher Untersuchungen – zumindest in Deutschland. Warum eigentlich? Den wenigsten Juristen dürfte entgangen sein, dass neben ihresgleichen auch noch andere Sterbliche den Planeten bevölkern und dass diese ihre Rechtskenntnisse und -überzeugungen teilweise aus anderen Quellen schöpfen als sie. Heroen der modernen Rechtswissenschaft und Staatstheorie wie Montesquieu und Friedrich Carl von Savigny maßen dem „Volksgeist“ (oder esprit général) sogar eine überragende Bedeutung für die Rechtsentwicklung zu.

Richtig ist, dass die Analyse dessen, was Lawrence M. Friedman in Abgrenzung zum Juristenrecht die „externe Rechtskultur“ genannt hat,[1] große methodische Schwierigkeiten bereitet. Aber aus diesen Problemen die Berechtigung abzuleiten, eine Wirkung des „Außen“ gänzlich zu leugnen, geht dann doch etwas zu weit. Eher trifft die gegenteilige Annahme zu, die wir im Folgenden zu Grunde legen wollen,[2] dass nämlich popkulturelle Phänomene im Allgemeinen und Superhelden-Comics und -Filme wie Batman im Besonderen Normativitätswissen[3] in erheblichem Umfang speichern und vermitteln, ja einen Beitrag zur Globalisierung solcher Wissensbestände leisten. Immerhin hat das Genre die ganz großen Fragen im Blick, Staatskrisen, Ausnahmezustand, nukleare Bedrohung, Terroranschläge, Revolten und Revolutionen. Es sind Kernthemen der Staatstheorie und politischen Philosophie, die man hier verhandelt, Souveränität und Gewaltmonopol, Legitimation und Legalität, Volksherrschaft und Diktatur.

Die Erosion des nationalen bildungsbürgerlichen Normativitätswissen lässt sich nicht dadurch aufhalten, dass man sie ignoriert und unverdrossen die Relevanz juristischer Texte und Autoren predigt, die längst ihre Relevanz verloren haben und die niemand mehr liest. Vergleichen wir damit die mediale Präsenz und Reichweite etwa der Batman-Filme: Sowohl der zweite (2008) als auch der dritte Teil (2012) der Dark Knight-Trilogie von Cristopher Nolan spielten jeweils mehr als ein Milliarde US-Dollar ein.[4] Betrug der internationale (nicht US-amerikanische) Anteil am Gesamtumsatz 2008 noch 46,8 %, lag er 2012 bereits bei 58,5 %. In 56 „Märkten“, von Ägypten bis Australien, von China bis Kolumbien, von Indonesien bis Nigeria: Überall hatte der Dunkle Ritter seinen Auftritt. Da die Filme fortwährend im Fernsehen wiederholt werden und darüber hinaus über Speichermedien und Archive zugänglich sind, hat man wohl davon auszugehen, dass die Batman-Saga zumindest in ihren Grundzügen einem Milliardenpublikum bekannt ist.

Das ursprüngliche Medium, der Comicstrip, dürfte heute (anders als in der Mitte des 20. Jahrhunderts) nur noch vergleichsweise wenig zum Erfolg und zur Bekanntheit beitragen. Ungeachtet dessen werden Batmancomics weiterhin publiziert und gelesen, wiederum nicht nur in den Vereinigten Staaten oder in Westeuropa, sondern auch in Asien und Lateinamerika. Neben einfachen Übersetzungen existieren Geschichten mit nationalen oder regionalen Batmans, die in Aussehen und Verhalten landestypische Besonderheiten aufweisen, um die Leser in anderen Teilen der Welt stärker anzusprechen und eine Identifikation zu ermöglichen.

Dieses Phänomen hat Grant Morrison in der Reihe „Batman Incorporated“ (2010-2013) auf originelle Weise selbst zum Gegenstand einer Bildergeschichte gemacht.[5] Wir sehen Bruce Wayne in Anzug und Krawatte, wie er im obersten Stockwerk des Wayne Towers in Anwesenheit des Vorstands von Wayne Enterprises (oder der Wayne Foundation) das neue Logo enthüllt

und seine Strategie einer dezidiert globalen Verbrechensbekämpfung erläutert („Ich bin zurück und greife die nächste Ebene strategisch an. Wir werden fortan nicht nur in Gotham helfen, sondern die Welt verändern“). Auf der Weltkarte im Hintergrund sind mit besagtem gelben Batman-Logo die Orte gekennzeichnet, an denen regionale Batman-Doppelmänner operieren, wie Waynes Ansprache zu entnehmen

„Wir wissen von mindestens 20 tapferen Männern und Frauen in aller Welt, die Batman inspiriert hat. Mit Batmans Unterstützung will ich ein Netzwerk internationaler Verbrechensbekämpfung aufbauen und diese finanzieren. Von London bis Hong Kong, von Buenos Aires bis Moskau … Wir schaffen ein omnipräsentes internationales Verbrechensbekämpfungs-Franchise.“Grant Morrisons Rahmenhandlung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten bemerkenswert. Zum einen stellt sie Batmans Mission als eine an modernen wirtschaftlichen, korporativen Praktiken orientierte Unternehmung dar und gibt dem Ganzen dadurch eine ironische Wendung;[6] schließlich ist der reale Batman ebenfalls eine Marke und ein (sehr wertvolles) Wirtschaftsgut, das „gehandelt“, „lizensiert“, „vermarktet“ wird. Und DC Comics, Inc., die Kapitalgesellschaft, die über Batmans Schicksal wacht, gehört als Tochtergesellschaft von DC Entertainment Inc. zu Warner Bros. Entertainment Inc., die als Teil von Warner Media, LLC (derzeit noch) von AT&T, Inc. kontrolliert wird.

Zum anderen trägt „Batman Incorporated“ dem Bedürfnis nach einer Diversifizierung der Batman-Figur Rechnung, die ein universelles Prinzip und keine Pax Americana, keine spezifisch amerikanische Gerechtigkeits- und Friedensordnung, verkörpern soll. Die Protagonisten des von Bruce Wayne aus der Taufe gehobenen Verbrechensbekämpfungs-Franchise wie Batwing – der „afrikanische Batman“ – oder der argentinische El Gaucho haben ihr eigenes Profil und ihren eigenen Kopf, ja El Gaucho weigert sich sogar, dem „Netzwerk internationaler Verbrechensbekämpfung“ formell beizutreten („Und was ‚Batman Incorporated‘ angeht, bin ich dankbar und geschmeichelt, dass Du den ganzen Weg hierherkamst, aber El Gaucho ist sein eigener Herr, kein Angestellter“).[7]

Von der Globalisierung und zugleich Regionalisierung sind auch andere Ikonen der amerikanischen Pop-Kultur betroffen, zum Beispiel Spider-Man.[8] Bereits 2004 veröffentlichte die „Gotham Entertainment Group“ mit Sitz in Bangalore, Indien, eine auf den indischen Markt zugeschnittene Version des Spinnenmannes – „einer der ersten Versuche, einen durch und durch amerikanischen Superhelden kulturell zu übersetzen und in einen Helden mit indischem Hintergrund zu verwandeln.“[9] Sharad Devarajan, CEO der „Gotham Entertainment Group“, hob die ambitionierten Ziele seines Vorhabens hervor: „Anders als traditionelle Übersetzungen amerikanischer Comics wird Spider-Man India die allererste ‚Transkreation‘ werden, in der wir (Inder und indischstämmige US-Amerikaner) den Ursprung einer westlichen Marke (property) wie Spider-Man neu erfinden.“[10]

Ebenbürtiges Beispiel für eine ästhetische Transkreation ist das Erscheinungsbild des erwähnten Batman-Doubles El Gaucho: Er trägt wie die Fledermaus aus Gotham eine Maske, die den oberen Teil des Gesichts, einschließlich der Nase, bedeckt und ist wie das Vorbild athletisch (und ziemlich gewalttätig). Im Übrigen aber gibt es kaum Übereinstimmungen, denn die Maske ist rot und eigentlich ein Kopftuch und statt eines schwarzen Brustpanzers und Umhangs bevorzugt der Argentinier Jeans und Lederjacke.

Die Wirkung einer rein äußerlichen Transkreation auf Leserschaft und Publikum kann durchaus sehr unterschiedlich sein. Beschränken sich Autoren und Regie auf die Modifikation der Form und unterlassen jede inhaltliche Anpassung, dann erschwert die Transkreation gerade nicht, sondern erleichtert sogar die unkritische kulturelle Aneignung externer normativer Botschaften, weil auf die Weise die Abwehrreflexe gleichsam überlistet werden. Die Einer-von-uns-Fassade verleitet dazu, das in Wahrheit Fremde als autochthon, als eigen zu begreifen.   

Äußerlichkeiten wie eine andere Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit können freilich immerhin für Irritationen sorgen und produktive öffentliche Debatten anregen[11] – wie im Fall des Nightrunner, des französischen Statthalters von Batman Incorporated. Der von David Hine konzipierte Superheld erhitzte die Gemüter konservativer Kolumnisten, weil ihrer Meinung nach ein 25jähriger Franzose algerischer Herkunft und noch dazu muslimischen Glaubens unmöglich einen Kreuzzug gegen das Böse anführen darf. [12] 

Eine ästhetische Transkreation kann darüber hinaus für die Autoren und Produzenten Anlass und Anreiz sein, neben dem Outfit auch die normativen Botschaften anzupassen und zu ändern. So kommt es zu einer „Translation von Normativitätswissen“, zu einer „Aufnahme, Neuschöpfung und Transformation“.[13] Beide Begriffe – Transkreation und Translation – bringen zum Ausdruck, dass es sich um schöpferische Prozesse mit Rückkoppelungseffekten handelt. Sie zwingen dazu, „nicht von einer Wandlung ‚von etwas‘ und damit potentiell essentialistisch, sondern prozedural von einer Kette immer neuer Akte der Erzeugung von Normativitätswissen auszugehen.“[14] Für ein solches Wissen trifft dann zu, was El Gaucho für seine Person in Anspruch nimmt: Es ist „sein eigener Herr, kein Angestellter.“


[1] Lawrence M. Friedman, The Legal System. A Social Science Perspective, New York 1975, S. 223.

[2] Dazu bereits Daniel Damler, Gotham City. Architekturen des Ausnahmezustands, Frankfurt am Main/New York 2022, S. 16-18; ders., Ex sensu ius oritur, Die Materialisierung von Normen im (bewegten) Bild, Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, 47 (2021), S. 185-208.

[3] Grundlegend Thomas Duve, Rechtsgeschichte als Geschichte von Normativitätswissen?, Rechtsgeschichte 29 (2021), S. 41-68.

[4] Andrew Farago/Gina McIntyre, Batman. Alles über den Dunklen Ritter in Comic, Film und anderen Medien, Stuttgart 2020, S. 308, 314.

[5] Dazu Katharina Bieloch/Sharif Bitar, Transnational and Transcultural Superheroes Batman Goes Transnational: The Global Appropriation and Distribution of an American, in: Transnational Perspectives on Graphic Narratives: Comics at the Crossroads, hrsg. von Daniel Stein, Shane Denson, Christina Meyer, London, New York 2013, S. 103-114; Lars Banhold, Batman. Konstruktion eines Helden, 2. Aufl., Bochum 2008.

[6] Zu einem Vorläufer („cartoon-trust“) vgl. Daniel Damler, Konzern und Moderne. die verbundene juristische Person in der visuellen Kultur 1880-1980, Frankfurt am Main 2016, S. 83 f.

[7] Grant Morrison, Batman Incorporated, übersetzt von Steve Kups, Band 1, Stuttgart 2013 (nicht paginiert). Hervorhebung im Original.

[8] Shilpa Davé, Spider-Man India: Comic Books and the Translating/Transcreating of American Cultural Narratives, in: Transnational Perspectives on Graphic Narratives: Comics at the Crossroads, hrasg. von Daniel Stein, Shane Denson, Christina Meyer, London, New York 2013, S. 115-129 (deutsch: Shilpa Davé, Spider-Man India. Comics und die Übersetzung/Transkreation amerikanischer Narrative, in: Lukas Etter/Thomas Nehrlich/Joanna Nowotny (Hrsg.), Reader Superhelden. Theorie, Geschichte, Medien, Bielefeld 2018, S. 401-416).

[9] Shilpa Davé, Spider-Man India, S. 401-416, 401.

[10] ibid, S. 405.

[11] Katharina Bieloch/Sharif Bitar, Transnational and Transcultural Superheroes Batman Goes Transnational, S. 103-114, 110 f.; Shilpa Davé, Spider-Man India, S. 401-416, 414 f.

[12] Vgl. Olivier Delcroix, Le partenaire français musulman de Batman crée la polémique!, 7. Januar 2011:

[13] Eingehend Thomas Duve, Rechtsgeschichte als Geschichte von Normativitätswissen?, S. 59-62.

[14] ibid, S. 60. Vgl. auch Thomas Duve, Von der Europäischen Rechtsgeschichte zu einer Rechtsgeschichte Europas in globalhistorischer Perspektive, Rechtsgeschichte 20 (2012), S. 18-71, insbes. 52-56.


Cite as: Damler, Daniel: El Gaucho’s Law. Von der ästhetischen Transkreation zur normativen Translation, legalhistoryinsights.com,02.06.2022, https://doi.org/10.17176/20220603-124248-0

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