„Die Welt wie eine Orange geteilt“. Machen Bilder Recht?

Im Jahr 1518 schien der Fall klar: Die Demarkationslinie zwischen den Einflußsphären der portugiesischen und der spanischen Monarchie teilte den gesamten Erdball auf. „Wie eine Orange“ habe Papst Alexander VI. die Welt in zwei Hälften geschnitten, als er 1493 die sog. alexandrinischen Bullen erließ, schrieb Alonso de Zuazo, ein hoher Kronbeamter aus Hispaniola, an den spanischen König. Viele Gebiete im Pazifik, die im Moment von Portugal beansprucht würden, gehörten deswegen eigentlich den Spaniern. Man musste ja nur die von Pol zu Pol verlaufende Linie, die vom Papst gezogen und im sog. Vertrag von Tordesillas 1494 weiter nach Westen verschoben wurde, konsequent um den Globus herum verlängern, dann sah man es.

Der genaue Verlauf im Pazifik war allerdings nicht ganz so einfach festzulegen. Man konnte die Welt noch nicht eindeutig vermessen. Aber man suchte sich wissenschaftliche Ergebnisse, also Berechnungen und Karten, die für die eigenen Ansprüche günstig waren. Davon gab es einige, und viele zeigten, dass Spanien mehr beanspruchen könnte als es im Moment in Besitz genommen hatte: „Jedenfalls“, so fuhr der Kronbeamte im Brief an seinen König fort, „nach der Weltkarte, die Amerigo zu drucken in Auftrag gegeben hat, der in dieser Gegend war, die eine runde Form hat und die der Herr Kronprinz in seinen privaten Gemächern hatte[1].

Heiraten statt Streiten

Doch der Streit zwischen Portugal und Spanien wurde bald beigelegt. Der Grund war allerdings nicht eine Klärung durch die Kosmographen, wie die Erdvermessung damals hieß; im Gegenteil hatten Experten beider Seiten sich 1524 getroffen, mit Karten, Instrumenten, aber ohne Ergebnis. Die Lösung war anderer Art: Die Herrscher heirateten 1525 und 1526 jeweils die Schwester des anderen. Das vereinfachte es, im sog. Vertrag von Saragossa 1529 die begehrten Inseln zwischen den beiden Imperien aufzuteilen und den Verlauf der Demarkationslinie festzulegen. Diese wurde abgeleitet vom Verlauf der Linie, auf die man sich im Vertrag von Tordesillas geeinigt hatte.

Ratifikationsurkunde des Vertrages im Archivo General de Indias in Sevilla © Wikimedia Commons.

Der „Antimeridian“

Doch wie kam es eigentlich dazu, dass man schon 1518 davon sprach, die Welt sei „wie eine Orange“ durchgeschnitten worden? Dass man also die von Pol zu Pol durch den Atlantik verlaufende Linie, auf die man sich in Tordesillas geeinigt hatte, den sog. „Meridian“, nun auch auf der anderen Seite des Globus verlängerte und mit diesem sog. „Antimeridian“ dann auch den Pazifik aufteilte?

Als man sich 1494 in Tordesillas auf den Verlauf der Demarkationslinie einigte, war keine Rede davon. Ausdrücklich hieß es, dass eine gerade Linie, „von Norden und Süden, von Pol zu Pol, in dem genannten Ozean von der Arktis zum Pol in der Antarktis“ gezogen werden sollte[2]. Auch in der päpstlichen Bulle Ea Quae von 1506, die den Vertrag von Tordesillas bestätigte, wird von per dictum mare navigare et insulas novas perquirere et capere, also von „dem genannten Meer“ und im Singular gesprochen[3]. Von einem Antimeridian keine Spur. So zeigt es auch noch eine frühe Karte, die sog. Planisphärenkarte von Cantino aus dem Jahr 1502, in der die Linie eingezeichnet ist.

Die Weltkarte des Alberto Cantino aus dem Jahr 1502, © Wikimedia Commons.

Schon wenig später finden sich aber einige Hinweise darauf, dass man den Vertrag von Tordesillas nun so interpretierte, dass dort nicht alleine eine Linie durch den Atlantik, sondern auch durch den Pazifik vereinbart worden sei. So wurde 1512 eine Expedition unter dem Kommando von Juan Díaz de Solis ausgestattet, um die Demarkationslinie im Pazifik festzulegen. In der capitulación wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, die Rechte der Portugiesen nicht zu verletzen. Aber man war sich gleichwohl sicher, dass die sog. Gewürzinseln, die Molukken, die ja geradezu der Anlass für die Entdeckung Amerikas gewesen waren, zur spanischen Krone gehören würden, wenn man die Linie von Tordesillas nur korrekt weiterberechne. Auch Magellan, der 1511 diese Inseln besetzt hatte, schien das zu vermuten.

Vom Meridian zum Antimeridian

Was war also zwischen 1506 und 1511 und erst recht 1518 passiert, als man annahm, der Papst habe die Welt „wie eine Orange“ geteilt? Warum dachte man nun, in Tordesillas habe man nicht nur den Meridian, sondern auch den Antimeridian vereinbart, also nicht nur die Einflusssphären im Atlantik, sondern auch im Pazifik verteilt?

Die Antwort dürfte nicht zuletzt darin liegen, dass sich in diesen Jahren das Wissen über die Geodäsie, also über das Ausmaß und die Fläche der Welt, massiv erweitert hatte. Damit veränderte sich auch das Bild von der Welt. Ein Blick auf die Karten zeigt dies. Die Weltkarte von Juan de la Cosa von 1500 zeichnet den Meridian von Tordesillas ein, der mitten durch den Atlantik verläuft; der Erdumfang wurde also noch immer und wie schon von Kolumbus selbst unterschätzt. Das änderte sich kurze Zeit später, als die wohl erste mit astronomischen Methoden erstellte Karte, die sog. Cantino Planisphäre, nach einer portugiesischen Expedition 1502 erstellt wurde. Nun verlief, sehr passend zu den politischen Absichten nach der ersten Landung von Portugal im heutigen Brasilien 1500, die Linie durch den amerikanischen Kontinent. Aber auch in diese Karte war kein Antimeridian eingezeichnet.

In kurzer Folge wurden nun weitere Weltkarten erstellt, im Jahr 1507 die berühmte Waldseemüller/Ringmann-Karte und als Teil von deren der Cosmographiae introductio auch eine Globussegmentkarte, mit der die Krümmung der Meridiane eingezeichnet werden konnte.  

Martin Waldseemüller, Globensegmente, © Universitätsbibliothek München, Cim. 107#2 (= 2 Math. 499#2).

Weitere Karten folgten, in denen die sphärische Projektion immer ausgereifter wurde. Eine 1519 von Jorge Reinel für die portugiesische Krone angefertigte Karte lässt schließlich keinen Zweifel an der Verlängerung von Meridian und Antimeridian: sie zeigt die Welt Portugals, mit der durch das heutige Brasilien verlaufenden Linie, verlängert auch in den Pazifik – die sog. Gewürzinseln, die Molukken, liegen innerhalb der portugiesischen Sphäre.

Atlas nautique du Monde, Atlas Miller, Homem, Lopo, Cartographie, 1519, © Bibliothèque Nationale de France.

Wissenschaft, Visualisierung und Völkerrechtsverträge

Einiges spricht dafür, dass die „kartographische Revolution“ um 1500 mindestens auch ursächlich war für die veränderte Interpretation des Vertrags von Tordesillas. Was 1494 noch nicht vorstellbar war, wurde durch den Fortschritt in der Kartographie in den beiden folgenden Jahrzehnten immer evidenter. Noch Kolumbus starb ohne zu wissen, dass er nicht im Pazifik gelandet war; ein Antimeridian machte keinen Sinn. Innerhalb weniger Jahre hatte sich das radikal geändert. Amerika war ein Kontinent, der die Meere teilte, und der Umfang dieser Erde war gut 30% größer als man zur Zeit des Kolumbus schätzte. Das änderte alles.

Man kann diese kleine Geschichte deswegen als eine Geschichte davon lesen, wie neue wissenschaftliche Kenntnisse und Praktiken die Auslegung eines Vertrags verändern. Denn als man sich in Tordesillas einigte, arbeitete man noch mit sog. Portolankarten. Man maß von festen Punkten aus, und auch deswegen scheiterte man schon bei der konkreten Bestimmung, wo der Meridian tatsächlich verlief – ganz zu schweigen von dem Versuch, einen Antimeridian zu ziehen. Erst die in diesen Jahren im Zuge der europäischen Expansion, der Blüte der Wissenschaft und der staatlichen Koordination entwickelte Technik, astronomische Karten anfertigen zu können, gab diese Möglichkeit.

Die Geschichte ist aber auch eine kleine Erzählung davon, welche Bedeutung die Anschauung für das Recht hat. Die flachen Portolankarten und die Unsicherheit über den Erdumfang, den diese widerspiegelten, ließen keinen Gedanken an einen Antimeridian aufkommen. Vielleicht erstmals mit der Cantino-Planisphärenkarte 1502, umso mehr mit den Erdglobus-Segmentkarten mit Kegelprojektion wie der Waldseemüllers und Ringmann von 1507, konnte einem so etwas in den Sinn kommen. Mit jeder Expedition verbesserten sich die Karten. So erschien es vielleicht bald als ganz natürlich, den Meridian aus Tordesillas in einen Antimeridian durch den Pazifik zu verlängern. Schließlich ging es ja eigentlich gar nicht um Amerika, sondern um den Zugang zu den Gewürzinseln und den dort vermuteten Reichtümern, die nicht mehr einfach durch das Mittelmeer transportiert werden konnten. Gerade dazu brauchte man die Karten Vielleicht hing eine solche Karte auch im Schlafzimmer des Infanten. Und das Bild einer Orange, die in zwei Teile geschnitten wurde, dürfte an Anschaulichkeit für die Menschen der iberischen Halbinsel ohnehin kaum zu überbieten gewesen sei.

Und der Text der päpstlichen Bullen und des Vertrags von Tordesillas, die doch eindeutig anderes sagten? – Diese kannten wahrscheinlich nur sehr wenige. Woher auch, die Ausfertigungen lagen gut verwahrt und gesichert in den Archiven. Im Fall der päpstlichen Bullen waren die Texte zudem unsicher, wurden doch in kurzer Folge mehrere gleichlautende Dokumente promulgiert. Die Bilder hingegen, die Globen und Karten, schmückten die Privatgemächer der Mächtigen. Diese hatte man täglich vor Augen. Hatten also nicht zuletzt die Bilder Recht gemacht[4]? – Lange Zeit schien so etwas undenkbar, denn Rechtsgeschichte blickte auf Texte. Heute wissen wir mehr über die Unsicherheit von Texten und die Macht der Bilder auch im Recht. Vielleicht hilft uns das, die frühneuzeitliche Welt in diesem Punkt besser zu verstehen.


[1] Siehe die “Carta del licenciado Alonso de Zuazo a Carlos I […]”, 22 de enero de 1518, in: Joaquín Pacheco, Francisco de Cárdenas, Luis Torres de Mendoza (Hg.), Colección de documentos inéditos relativos al descubrimiento, conquista y organización de las antiguas posesiones españolas de América y Oceanía (Madrid, Imprenta española, 1864), reimpresión 1964, 292-298, 296.

[2] Wilhelm G. Grewe, Fontes Historiae Iuris Gentium: Sources Relating to the History of the Law of Nations, (Berlin, De Gruyter, 1988), II, 110-116 = n. 11.

[3] Josef Metzler, America Pontificia. Primi saeculi evangelizationis 1493-1592, I-II, Collectanea Archivi Vaticani 27/1. 27/2, (Città del Vaticano, Libreria Editrice Vaticana, 1991), I, n. 10, 100-102, 101.

[4] Alle Nachweise und eine ausführlichere Bearbeitung des Themas in: Thomas Duve, El Tratado de Tordesillas: ¿Una ‘revolución espacial’? Cosmografía, prácticas jurídicas y la historia del derecho internacional público, in: Revista de Historia dl Derecho N° 54, julio-diciembre 2017, 77-107.


Cite as: Duve, Thomas: „Die Welt wie eine Orange geteilt“. Machen Bilder Recht?, legalhistoryinsights.com, 22.12.2021, https://doi.org/10.17176/20211222-164634-0

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